In meinem Leben gibt es ein interessantes Paradox: Je älter ich werde, desto mehr Medikamente nehme ich (yey, Schilddrüse!) während ich in Summe aber immer weniger Drogen zu mir nehme… Let me explain.
Ich war ca. 15 als ich es für eine gute Idee hielt, mit dem Rauchen zu beginnen. Meine Eltern rauchten beide wie Schlote. Meine Mutter verbrauchte bis zu 5 Schachteln Zigaretten am Tag, mein Vater hielt mit 3 tapfer mit. Als ich auch zu rauchen begann, kamen die beiden aber nicht etwa auf die Idee sich selbst als schlechtes Beispiel zu positionieren sondern erlaubten mir daheim zu qualmen. Das Argument dazu: „wenn wir es verbieten, macht er es heimlich“, gepaart mit „wenn wir es schon so vorleben können wir es ja schlecht verbieten“. Was für ein Schwachsinn, ehrlich.
Prompt war ich jedenfalls in der Schule der Typ mit den lässigen Eltern bei denen wir ganz offen am Stengel ziehen konnten und der überquellende Aschenbecher zog in meinem Jugendzimmer ein… Seufz. Als ich 18 wurde rauchte auch ich 3 Schachteln am Tag, meist selbstgedreht um meine Finanzen unter Kontrolle zu halten.
Analog zum Rauch begann ich mit 16 im Freundeskreis auch gelegentlich Alkohol zu trinken. Auch da waren meine Eltern schlechte Vorbilder. 2-3 Bier waren abends ganz normal, ich wuchs ja in Bayern auf. Wenn es warm wurde trank man in meinem Elternhaus außerdem Weißweinschorle und am Wochenende nahm der Verbrauch auch gerne mal zu.
Ach und dann noch: Kaffee. Ich erinnere mich nicht genau wann ich anfing morgens Kaffee zu trinken. Ich war vermutlich auch irgendwas um die 14 als sich zur Cola Kaffee gesellte…
Anfang 20 sah mein „Drogenkonsum“ also wie folgt aus:
3 Schachteln Zigaretten pro Tag, 1-2 Bier abends (zu entsprechenden Anlässen auch mal mehr) und 3-6 Tassen Kaffee über den Tag verteilt, gerne auch mal eine Cola zwischendurch. Aber wenigstens war ich gesund.
Das Rauchen war die erste Angewohnheit die ich versuchte wieder abzulegen. 8 Jahre lang hatte ich mir selbst und anderen erzählt, ich rauchte ja des Genusses wegen, hatte aber inzwischen einen morgendlichen Hustenanfall der definitiv keinen Spaß mehr machte und das nagende Gefühl, mich und andere zu belügen wenn ich das als selbstgewählt und erstrebenswert darstellte. Irgendwann setzte sich der Vorsatz fest mit dem Mist aufzuhören. Es war nicht einfach, ich brauchte mehrere Anläufe, aber inzwischen ist diese Zeit über 20 Jahre her.
Der Alkohol dauerte etwas länger. Zu Bier war irgendwann gelegentlicher Rotwein gekommen. Ich trank zwar nicht täglich Alkohol, aber trotzdem gab es immer Vorräte im Haus und es verging kaum eine Woche ohne nicht mit der Liebsten oder Freunden mindestens eine Flasche Wein geleert zu haben. Ich war fit, lief jede Woche 40km, ging regelmäßig Klettern und hatte beschlossen, der Optik wegen Gewicht loszuwerden. Vielleicht einfach mal auf Kohlehydrate verzichten? Alkohol gehört da dazu und so erklärte ich es zu meinem Abnehmprojekt einen Monat keinen Wein und kein Bier anzufassen. Meine Liebste schloss sich an und aus einem Monat wurde schleichend ein Quartal, dann ein Jahr und nun sind es auch schon knapp 10 Jahre. Bereits nach einem Monat aussetzen stellten wir fest, dass wir den Geruch von Alkohol plötzlich abstoßend fanden… So wurde unsere Abstinenz praktisch zum Selbstläufer der bis heute anhält. Weil wir auch mal andere Kaltgetränke als Wasser und Limo wollten, probierten wir uns über die Jahre auch durch diverse Alternativgetränke und entdeckten die Welt des alkoholfreien Gins und alkoholfreien Weines. Glaubt es oder nicht – das Zeug kann schmecken!
Was über die Jahre allerdings konstant blieb, war unser Kaffeekonsum. Wir sind Kaffeesnobs mit überdimensioniertem Bohnenverbrauch und Cappuccino, Espresso & Co gehört untrennbar zu unserem Alltag. Weil wir den Kaffee gewohnt waren, wirkte der auch nicht. Wir konnten spät abends noch beliebige Mengen trinken und trotzdem schlafen. Trotzdem hatten wir all die verbreiteten Sprüche drauf. „Ich brauch meinen Morgenkaffee um in die Gänge zu kommen.“, „Boah bin ich müde, erst mal einen starken Kaffee!“, „Ohne Kaffee komm ich nicht durch den Nachmittag“…
Wir hätten daran auch nie etwas geändert, wäre da nicht einmal ein Fehlkauf aufgetreten. Versehentlich hatten wir statt unserer normalen Bohnen entkoffeinierten Kaffee gekauft und als wir beschlossen, den einfach mal zu probieren, schmeckten wir keinen Unterschied… und fühlten uns auch nicht anders.
Davon ausgehend stellt sich wirklich die Frage: Wenn der Geschmack gleich und die Wirkung kaum bemerkbar ist – warum dann darauf bestehen den Körper weiterhin mit Koffein zu fluten? Lange Rede, kurzer Sinn: Wir haben zwar noch regulären Kaffee im Haus, benutzt wird aber fast ausschließlich der entkoffeinierte…
Wir trinken also alkoholfreien Wein, alkoholfreies Bier und koffeinfreien Kaffee und finden das ganz normal. Da kommt es schon mal vor, dass wir Besuchern diese Ersatzprodukte hinstellen und normalerweise weisen wir darauf dann hin.
Die wirklich spannende Beobachtung: Wir stoßen regelmäßig auf vehemente Ablehnung, selbst wenn wir wirklich betonen, dass das Zeug lecker ist. In solchen Fällen kommt dann der reguläre Kaffee zum Einsatz und früher haben wir auch mal in Vorausschau ein paar Flaschen „richtiges“ Bier oder Wein gekauft. Wir wollen ja gute Gastgeber sein.
Meine Kids haben aber schon diverse Male einfach vergessen (oder waren zu faul) darauf hinzuweisen und dann wird unser Kaffee im Allgemeinen als sehr lecker gelobt, die Leute merken den Unterschied nicht und nehmen auch gerne nach. Dasselbe mit dem Wein: Wissen die Leute nicht, dass sie alkoholfrei trinken schmeckt ihnen das Getränk. Fragen wir vorher, dann wird meist skeptisch probiert oder direkt abgelehnt…
Ich finde das erstaunlich.
Einerseits betonen viele sobald sie von unserem Lebenswandel hören reflexartig, wie sehr es ihnen nur auf den gelegentlichen und vor allem ausgesprochen mäßigen Genuss ankäme… Kaum dass man ihnen die Wahl lässt, bestehen aber alle auf den Buzz. Es muss schon die Droge drin sein, sonst braucht es das Zeug ja gar nicht, hm? Das geht so weit, dass ich immer wieder mal die meiner Meinung nach ziemlich absurde Frage „Wenn du keinen Alkohol magst, warum trinkst du dann alkoholfreies Bier?“ beantworten muss.
Es ist ja nicht so, dass ich kein Bier mag, ich mag nur den Alkohol nicht. Analog bei Kaffee: Ich kann den in rauen Mengen trinken ohne des Geschmacks überdrüssig zu werden – warum dann unbedingt auf die Droge bestehen?
Außer, ihr seid einfach alle deutlich süchtiger und deutlich weniger Genussmenschen als euch lieb ist, hm? 🙂
@DirkWow. 💚
@Dirk Danke für den Post in dem ich mich in teilen wiederfinde. Ach, eigentlich komplett auch wenn die absoluten Zahlen teils niedriger und meine Eltern weniger "lässig" waren. EIne Frage noch, welchen alkoholfreien Gin kannst du denn empfehlen? 🙂
Ich mag die Seedlip Gins ganz gerne: https://www.seedlipdrinks.com/de-de/
@Dirk da steckt viel schmerzhafte Wahrheit drin. Ich probiere gerne die Alternativen und finde sie meistens auch lecker, greife aber doch immer wieder zum Original. Der Buzz ist am Ende auch ein wesentlicher Faktor beim Genuss. Was ich nicht schlimm finde, solange man nicht übertreibt. Jedenfalls rede ich mir das ein und mache ab und an – meistens vor größeren Läufen – längere Pausen, um immer mal zu checken, ob ich aus Genuss oder Abhängigkeit trinke. Schwieriges Thema. Danke für den Text!
Ich glaube den Buzz zu suchen ist auch legitim. Man ist ja nicht automatisch suchtkrank 🙂
Mich amüsiert und überrascht eher wie ablehnend manche Menschen reagieren wenn sie mit den „buzzfreien“ Alternativen konfrontiert werden. Das fällt halt mir besonders auf weil ich über die Jahre einen zugegebenermaßen etwas ungewöhnlicheren Lebensstil entwickelt habe.
Außerdem frage ich mich ob die Leute sich des Grads ihrer Selbstmedikation eigentlich noch bewusst sind.
Ich vermute, der Konsum der Drogen, die Du nennst, ist bei vielen ritualisiert: das Bier nach der Bergtour, die Zigarette nach dem Essen (bei den Raucherinnen seinerzeit in meiner Studi-WG), der Kaffee nach der Arbeit (trinke ich jetzt gerade), der Wein, der das Wochenende einleitet. Die Ablehnung kommt sicher auch daher, dass Dein Verzicht Gewohnheiten hinterfragt. Aber solche Rituale sollten ja auch ohne Suchtmittel funktionieren. (Fürs Nikotin kann ich das allerdings nicht beurteilen …)
Ein Leben ohne (guten) Kaffee ist möglich, aber sinnlos. 😜
(Frei nach Loriot)
Keiner hat was von Koffein gesagt, oder?
@DirkDa bin ich voll und ganz bei Euch,bei uns ist es nicht anders ….
@Dirk spannend…habe vor ein paar Monaten alkfreies Bier für mich entdeckt. Vermisse den Alk nicht.
@Dirk das regt nochmal an, darüber nachzudenken. Mein Vater war auch Kettenraucher. Allerdings hat er es geschafft von einen auf den anderen Tag damit aufzuhören. Grund dafür war auch mein Asthma. Also habe ich auch nie mit dem Rauchen angefangen. Bleibt noch die Frage nach dem Rest an Drogen. Kaffee. Bier. Wein. 🤔
@Dirk Das ist sehr interessant. Alkoholfreien Wein würde ich sehr gerne probieren. Gibt es den inzwischen in gut sortierten Geschäften?
Ja, gibt es. Hier in Frankfurt hat z.b. der Edeka eine Menge guter Sorten. Meiner Erfahrung nach ist Weißwein oder Rosé wirklich gut. Rotwein scheint schwerer gut hinzubekommen zu sein.
@Dirk Darauf angemessen zu antworten fällt mir schwer. In einem Toot ist zu wenig Platz. Danke für dein Outing. Das ist sehr intensiv. Wobei ich manches sehr gut nachvollziehen kann. Die Zigaretten sind es allerdings nicht. Davon hatte ich in der 8. Klasse bereits genug. Aber in manch anderen Dingen finde ich mich wieder. Jedenfalls reicht es locker um einmal gemeinsam ein Bier (gerne alkoholfrei) trinken zu gehen. Es lebe die Veränderung.Mögen wir immer offen bleiben für sie.Alles Gute Dirk
Super Text! Ich habe im April aufgehört Alkohol zu trinken, habe aber nach 25 Jahren Konsum auch leider win Problem. Ich wäre froh, hätte ich die Erkenntnis früher gehabt.
Dass Du Alkohol holfreies Bier trinkst, kann ich absolut nachvollziehen. Man will einfach nicht immer süße
„Kindergetränke“….