Im vorhergehenden Post schrieb ich darüber, wie wenig ich Social Media als Verbreitungsweg für Fotos mag. Ja, man findet auf diesem Weg schnell Reaktionen, aber irgendwie fühlen sie sich oft seicht an. Trotzdem experimentiere ich natürlich auch immer wieder damit. Zuletzt tat ich das, als ich 2023 nach Toronto zog. Die Idee war, mein tägliches Fotografieren für den Aufbau eines visuellen Tagebuchs zu nutzen und neben Fotos auch ein paar Gedanken niederzuschreiben. Ich nannte das Projekt seeing.toronto und startete es auf pixelfed.social.

Wie immer fühlte es sich auch ganz nett an, relativ schnell Follower zu haben, und die Bilder sammelten Likes ein. Allerdings lasen viele die Texte nicht, hatten keine Ahnung vom Gesamtkontext, und außerdem gab es noch einige wirklich unangenehme Reaktionen von Leuten, die sich über Aspekte der Bilder aufregten, die nun gar nichts mit dem Projekt oder meiner Aussage zu tun hatten.
Beispielsweise fühlte sich jemand von einer Aufnahme der Stadt aus der Luft getriggert angesichts der Armut auf dem Boden und des Kontrasts dazu, dass ich mit einer teuren Kamera in der Hand einen Heliflug gemacht hatte.
Besonders dieser letzte Fall ist ein Beispiel für Menschen, die sich ohne Kontext anmaßen zu urteilen und das eigentliche Ziel meines Projektes weder erfassen noch sich dafür interessieren, oder es eventuell auch völlig egal und banal finden. Derselbe Typ würde vermutlich nicht in eine Fotoausstellung gehen und dort beim Anblick eines aus dem Heli gemachten Bildes eine wütende Nachricht an die Urheber verfassen. Diese komplette Interaktion fand nur statt, weil mein Post mehr oder weniger zufällig in seine Timeline gespült worden war. Das kann man ihm nun auch nicht vorwerfen, ich wollte es ja so.
Für mich zeigte es aber ein grundsätzliches Problem des Verbreitungswegs. Indem ich meine Fotografie einem Mechanismus übergebe, der automatisiert und losgelöst Inhalte anderen aufdrängt, in der Hoffnung, dadurch neues Publikum zu erreichen, provoziere ich solche Interaktionen geradezu. Es ist der Preis dafür, dass ich meine Arbeit als Sprühnebel ins Internet blase, statt sie Leuten in die Hand zu geben, die sich bewusst interessieren.
Konsequenterweise markierte diese Einsicht deswegen jetzt auch das Ende von seeing.toronto als Online-Projekt. Stattdessen machte ich ein Zine daraus. Dieses Zine existiert zwar in einer Druckfassung (die hier schon durch diverse Hände gegangen ist), aber ich finde PDF-Zines sind wirklich schöne Alternativen und ein Kompromiss zwischen der Idee, Fotografie leichter weitergeben zu können, aber gleichzeitig einen eigenen Raum zu behalten. Denn obwohl PDFs auch online sein können und damit leichter verteilbar sind, geben sie nicht nur mehr Gestaltungsspielraum, sie sind auch unabhängig von der Verbreitungsplattform. Mit anderen Worten: Es gibt keinerlei Mechanismus, der zur Reaktion nötigt, und das Publikum kommt „freiwillig“ statt zufällig.
Wer also mag, kann sich jetzt das fertige Endprodukt herunterladen. Ich tracke weder Downloads noch erwarte ich irgendwelche Likes oder Reshares. Befasst euch damit ganz nach persönlichem Gusto. Ich freue mich zwar über eventuelle Reaktionen, aber weder der Erfolg des Projekts noch mein eigenes Wohlbefinden wird an Reaktionen gemessen. Auch hielt sich mein Anspruch an Perfektion in Grenzen; mir reicht es zu wissen, dass das Projekt jetzt fertig und „in der Welt“ ist und ab jetzt von Leuten gesehen wird, die sich damit befassen wollen, statt spontan eine Viertelsekunde mit einem Bruchstück daraus zu verbringen weil sie gerade nichts anderes zu tun haben.
Zum Download hier entlang (58,6 MB)
Ich empfehle das PDF im Querformat auf einem Tablet oder Bildschirm regulärer Größe zu schauen. Viel Spaß damit!
@Dirk @DrkPrmbs Sehr geil! Muss ich mir morgen am PC ansehen.
@Dirk @DrkPrmbs Lieber Dirk, das sind wirklich tolle Einblicke – nicht nur in eine Stadt sondern auch in ein Leben. Mir war bewusst, dass täglich fotografierst und ich hatte mich schon oft gefragt, warum du dieses 365er Projekt nicht teilst. Mir ist auch klar, dass ein Foto-Tagebuch auch sehr persönliches enthalten kann. Daher finde ich diesen Einblick als Zine wirklich wertvoll! Tolle Aufmachung, tolle Auswahl an Bildern und Geschichten. Danke!
@shashindo @Dirk
Wow, vielen Dank für das tolle Feedback!
@Dirk
Hab mir gerade nur die Bilder angesehen, morgen/heute versuche ich mit meinem alten Schulenglisch die Texte zu lesen und zu verstehen. Ich bin gespannt was du da so schreibst.
@Dirk
So hab jetzt auch den Text gelesen.
Finde deine Beschreibung sehr schön.
Man wird dadurch "mitgenommen" in das Bild und in die Situation, Danke !
@homawida @Dirk
Lieben Dank, dass du dir die Zeit genommen hast! Freut mich sehr, dass die die Texte gefallen haben!
@Dirk
Gar keine dumme Idee. Ein "Problem" von allen Plattformen ist ja, dass sie das Format vorgeben in der etwas präsentiert wird.
Wenn der content dazu nicht passt ist das natürlich doof. – eine Instagram-artige Darstellung setzt den Text halt immer auf Prio-niedrig.
Das PDF ist echt gut. Wie hast du das gemacht?
@hikingdude @Dirk
Da gibt's viele Möglichkeiten. In meinen Fall war es LibreOffice Draw aber PDFs kannst du inzwischen mit vielen Tools bauen, welches am besten passt hängt von deinen Anforderungen ab.
Ich freue mich auf die Bilder zum Podcast….
@Dirk Gefällt mir sehr, auch die Verbindung Fotos und Stories für den Kontext. Gelungenes Magazin!
@chris @Dirk
Danke!