(wichtiger Hinweis: Der Screenshot im Beitrag ist nicht authentisch)
So, jetzt hat er also Twitter gekauft.
Ich weiß noch genau wie meine eigene Twittergeschichte losging. Ich war auf einer der ersten re:publica Konferenzen gewesen und hatte dort von diesem seltsamen neuen Dienst gehört. Eine ebenfalls teilnehmende Kollegin war Feuer und Flamme, ich selbst hielt es für alberne Zeitverschwendung, meldete mich aber trotzdem mal an.
Drei Monate später war auch ich begeistert.
Ich hatte neue Menschen kennengelernt, erlebte einen Spieltrieb den ich schon länger vermisst hatte und fühlte mich plötzlich ganz nah am Puls der Zeit. Es war als würde man der Welt beim Denken zuhören und die Welt war anscheinend verspielt und freundlich… überwiegend.
Zwei Jahre und 20.000 Tweets später gab es einen ersten Bruch zwischen mir und Twitter. Ich hatte die Erkenntnis unglaublich viel Lebenszeit an banale 140 Zeichen Nachrichten verschwendet zu haben und löschte aus diesem Gedanken heraus meinen ersten Account.
Long Story short – 6 Monate später war ich wieder da. Ich hatte den Kanal und die Menschen darin vermisst und es gab schlicht keine Alternative in der ich mich ähnlich wohl gefühlt hätte.
Über die Jahre entwickelte sich der Dienst weiter.
Die algorithmische Timeline kam, aber ich hatte schon seit Jahren Tweetdeck genutzt und merkte davon zunächst praktisch nichts (Geheimtipp: in Tweetdeck sind die Timelines bis heute werbefrei und chronologisch). Irgendwann merkte ich aber zunehmend, dass meine Kontakte anders unterwegs waren. Plötzlich hatten zum Teil uralte Tweets Likes und Antworten während neue Tweets nicht wahrgenommen wurden weil der Algorithmus beschlossen hatte sie nicht zu zeigen. Gleichzeitig konnte man die „Profis“ dabei beobachten wie sie systematisch begannen das System zu nutzen um Reichweite zu bekommen.
Die nächste Bruchstelle: Quoted Tweets.
Einerseits ein großartiges Werkzeug um sich zu Themen zu äußern, andererseits ein Mechanismus geboren aus dem Bedürfnis sich selbst und die eigene Meinung an den Anfang eines Threads zu setzen und lieber über etwas als mit jemandem zu sprechen.
Beides, die algorithmische Timeline und die Quotes, hatte meiner Meinung nach einen deutlich feststellbaren Effekt auf den Tonfall im Netzwerk. Der war schon vorher ironisch-schnippisch, aber jetzt kam es immer öfter zu Aufregungsgetöse und unschönen Meinungskämpfen. Alles wurde obendrein zunehmend politischer und kontroverser. Die Einführung von Threads goß dann noch einmal Öl ins Feuer. Sie war die Einladung einzelne Gedanken aus dem Kontext zu reißen und presste lange Gedankenketten in ein durch das Netzwerk „vermarktbares“ Format.
Es war dieses Umfeld in dem Accounts wie der von Trump gediehen. (Nicht dass der jemals Threads gepostet hätte)
Als Trump endlich aus dem Netz entfernt wurde ging die Aufregung und Temperatur wirklich wahrnehmbar runter. Es war erstaunlich wie ärgerlich es zuvor manchmal gewesen war.
Natürlich konnte man ja jederzeit blocken und muten und sich so eine freundliche Community kuratieren. Allerdings war es trotzdem so, dass auch ich als erfahrener Nutzer nie in der Lage war dieses Grundkreischen vollständig loszuwerden. Zu viele meiner ansonsten auch geschätzten Kontakte wurden aus ihrem jeweils eigenen Umfeld mit angesteckt. Zu oft waren es emotionale und inhaltliche Brandstifter die auf Twitter wegen der gewaltigen Reichweite die man dort bekommen konnte ihr Handwerk betrieben…
Etwa 2018 (als die algorithmische Timeline aufkam) war es dann so weit, dass ich eine Alternative entdeckte: Das Fediverse. Anders als Twitter/Instagram/Facebook/YouTube hat das Fediverse die Grundidee alle Social Dienste miteinander reden zu lassen, das Hosting aber dezentral zu organisieren. Eine oft genutzte Analogie ist die der EMail. Man kann an alle schreiben und von allen empfangen, aber wer den Server betreibt ist vollkommen frei.
Der Vorteil solcher Systeme: Kommerzinteressen haben es weit schwerer Diskurs und Daten an sich zu reißen (wenn es nicht sogar geradeheraus unmöglich ist). Der zweite Vorteil: Man kann sich „seine“ Community aussuchen ohne sich komplett von allem isolieren zu müssen.
Mit Mastodon gab es einen Microblog-Dienst der Twitter unzweifelhaft ähnlich sieht, aber all die Ärgernisse Twitters nicht hat. Also legte ich mir einen Account auf chaos.social an, einer Community die dem CCC nahesteht, Wert auf queerfreundlichkeit und respektvollen Umgang legt und mit der Indie-Podcastbubble und einer gerüttelten Menge Technerds genau meine Leute beheimatet.
Als Elon dieses Jahr ernsthaft andeutete, Twitter kaufen zu wollen, beschloss ich dann auch für meinen Fotomenschen-Podcast ein zweites Zuhause anzulegen. Die Fediverse-Entsprechung ist auf photog.social zu finden und blüht und gedeiht.
Während ich diese Zeilen tippe ist gerade die nächste große Twitter-Mastodon Migration angebrochen. Elon Musk hat den Deal gerade unter Dach und Fach gebracht, gleich mal einige der bisherigen Twitter Manager gefeuert und viele vollmundige Ankündigungen gemacht.
Die Sache ist die: Twitter wird sobald sich viele erst einmal wieder beruhigt haben gar nicht so dramatisch anders sein, glaube ich. Wahrscheinlich schafft es Musk in den nächsten Wochen viele Bedenken zu zerstreuen und immer öfter werden wir Kommentare sehen, dass manche seiner Vorschläge doch ganz sinnvoll seien…
Vermutlich wird der Dienst sogar wachsen. Seine Vision, einen ähnlichen Weg wie WeChat gehen zu wollen kann wirtschaftlich unter Umständen sogar zum Geniestreich werden. Nur will ich persönlich nicht zum Dataminingziel eines Unternehmenskonglomerats werden das sich fest in der Hand eines einzigen, libertären Milliardärspunk mit übersteigertem Ego befindet. Ich hatte bisher schon Probleme mit den oben beschriebenen Eigenheiten von Twitter, aber wenigstens glaubte ich den Menschen am Steuer bisher, dass sie wirklich um die richtigen Dinge ringen. Ich habe null Vertrauen in Elon und ich will keine App wie WeChat in der mein ganzes Leben stattfindet.
Das ist die Kreuzung an der ich mich gerade befinde.
Zur Zeit betreibe ich 5 Accounts. Ich versuche mich jetzt nur noch zu entscheiden ob ich die in Zukunft rein passiv betreibe (etwa um die Hinweise auf Fotomenschen weiter auszuspielen und ggf erreichbar zu bleiben) oder ob ich konsequent bin und komplett einstelle…
@Dirk Kurzer Disclaimer, dass der Screenshot nicht echt ist, wäre schön ^^
@Dirk cool. Ich glaub, ich muss mich wiedermal auf twitter sehen lassen. Das könnte noch unterhaltsam werden.