Heute wird’s noch mal speziell und technisch. Aber eine Sorge, das wird hier nicht der neue Standardinhalt. Nachfolgender Text kann für all jene interessant sein, die täglich mit Fotografie zu tun haben und es einfach ein wenig genauer wissen wollen… Falls du wie ich obendrein „im Grenzbereich“, also mit Infrarot oder Ultraviolett fotografierst oder eine manuell modifizierte Kamera benutzt, dann sind diese Infos vielleicht noch relevanter.
Immer noch hier? Ok. Los geht’s.
Im letzten Beitrag habe ich ja unter anderem beschrieben, wo Standard-RAW-Entwickler wie Lightroom bei der Infrarotfotografie an ihre Grenzen stoßen. Das Fazit war: Automatisierte Prozesse, die für die normale Fotografie optimiert sind, werden von den Eigenheiten eines IR-Bildes komplett aus dem Konzept gebracht.
Der erste Schritt JEDER Bildbearbeitung ist das sogenannte Demosaicing. Aber auch wenn du direkt ins JPEG Format fotografierst passiert dieser Schritt als erstes, dann eben direkt in der Kamera.
Was ist Demosaicing überhaupt? Die Kunst des Puzzelns
Eine RAW-Datei ist kein fertiges Bild. Man muss sie sich eher wie ein unvollständiges Mosaik vorstellen. Jeder Pixel auf dem Kamerasensor sitzt unter einem Farbfilter – meistens Rot, Grün oder Blau (dem sogenannten Bayer-Filter). Ein Pixel unter einem Rot-Filter kennt also nur einen Helligkeitswert für Rot, von Grün und Blau hat er keine Ahnung. Das Demosaicing ist nun der Prozess, bei dem die Software dieses Puzzle löst. Der Algorithmus schaut sich einen Pixel und seine Nachbarn an und macht eine Schätzung, um die fehlenden Farbwerte für jeden einzelnen Pixel zu berechnen. Erst danach haben wir ein richtiges Farbbild.
Wie die Software dieses Puzzle löst, ist aber motiv-, situations- und Kamera-abhängig und damit weder eine gleichbleibende mathematische Aufgabe sondern eher eine strategische Frage. Und hier trennt sich die Spreu vom Weizen. Es gibt eine Reihe verschiedener Möglichkeiten diese Aufgabe zu lösen und weil die meisten Menschen sich nicht mit Algorithmen sondern mit Fotos befassen wollen haben Programme wie RawTherapee intelligente Prozesse um für uns zu wählen. Aber sie lassen uns auch selbst entscheiden was sogar besser sein kann, wissen wir als Fotograf:innen doch oft am Besten worauf es uns ankommt.
Hier ein Screenshot aus RawTherapee. Es zeigt einen 100% Ausschnitt eines meiner RAW Bilder bei deaktiviertem Demosaicing. Man kann deutlich die Struktur des Sensors sehen:

Dasselbe Bild, der gleiche Ausschnitt. Einziger Unterschied: Der Algorithmus.

Grob kann man die meisten Algorithmen in zwei Philosophien einteilen:
1. Die „Detail-zuerst“-Philosophie (Die Optimisten)
Diese Algorithmen gehen davon aus, dass die Bilddaten sauber sind und jede noch so feine Abweichung zwischen den Pixeln ein echtes Detail darstellt. Sie analysieren Kanten und Muster aggressiv, um das schärfstmögliche Bild zu rekonstruieren.
- Beispiele für solche Algorithmen:
AMaZE
,RCD
,DCB
- Stärken: Liefern bei sauberen Low-ISO-Bildern perfekte Schärfe. Ideal für Stoffe, Architektur oder feine Strukturen.
- Schwächen: Sie lassen sich leicht täuschen. Rauschen sieht für sie aus wie ein feines Muster – und wird prompt „verstärkt“. Das führt zu sogenannten Labyrinth-Artefakten. An harten Kanten können Falschfarben (bunte Säume) oder bei feinen Mustern Moiré (Regenbogenmuster) entstehen.
2. Die „Artefakt-Vermeidungs“-Philosophie (Die Vorsichtigen)
Diese Algorithmen sind konservativer. Ihr oberstes Ziel ist es, keine Fehler zu machen, selbst wenn das einen Hauch weniger Schärfe bedeutet. Sie gehen davon aus, dass die Daten verrauscht sein könnten und legen mehr Wert auf glatte Flächen und saubere Farben.
- Beispiele:
LMMSE
,IGV
,VNG4
- Stärken: Sie sind die ideal bei High-ISO-Bildern oder verrauschten Daten. Labyrinth-Artefakte oder Moiré sind hier kaum ein Thema.
- Schwächen: Bei einem absolut perfekten Bild können sie im direkten Vergleich etwas „weicher“ wirken als die aggressiven Kollegen.
Nützliche Parameter, die man kennen sollte
Neben der Wahl des Algorithmus gibt es noch ein paar Regler, mit denen man die Strategie verfeinern kann. Nachfolgendes bezieht sich auf RawTherapee aber analoge Möglichkeiten finden sich auch in anderen Werkzeugen.
- Dual Demosaic (z.B.
AMaZE+VNG4
): Ein genialer Hybrid-Ansatz. Man kann einen „Detail-Algorithmus“ für die scharfen Bereiche des Bildes und einen „vorsichtigen Algorithmus“ für die glatten Flächen (z.B. Himmel) verwenden. DerKontrast-Schwellenwert
-Regler legt fest, wo die Grenze verläuft. - Falschfarben-Unterdrückung: Dieses Werkzeug wendet einen Filter an, der nur die Farbinformation beeinflusst, nicht die Schärfe. Er glättet bunte Farbflecken, die oft an Kanten entstehen.
- Rand: Die Pixel am äußersten Rand des Sensors können nicht perfekt rekonstruiert werden, weil ihnen Nachbarn fehlen. Normalerweise schneiden RAW-Konverter sie einfach weg. Mit diesem Regler kann man die Software zwingen, es trotzdem zu versuchen – aber auf eigene Gefahr, hier können Artefakte entstehen.
Mit diesem Wissen können wir jetzt gezielt die richtige Strategie für unsere Bilder wählen. Bei Standardaufnahmen sind heutige RAW-Entwickler aber auch oft schon sehr gut darin das für uns zu tun. Low ISO Aufnahme? => AMaZE, Low ISO: einen der anderen… Für Fotograf:innen wird das Wissen darum dann wertvoll wenn ihr vom Standardfall abweicht. Versehentlich mit hoher ISO fotografiert? Spezielles Lichtspektrum oder exzessiver Filtereinsatz der ein Szenario produziert das die Software nicht erraten kann? Den Algorithmus selbst zu wählen kann helfen!
Ein solches Szenario ist nun die IR Fotografie und darum jetzt noch eine Erklärung wie das konkret in diesem Fall aussieht.
Filtergruppe 1: „Super Color“ / Niedrige Wellenlänge (550nm, 585nm, 625nm)
- Die Herausforderung: Hier kommt ein wilder Mix aus starkem Infrarotlicht und einem Teil des sichtbaren Spektrums auf den Sensor. Das Ergebnis sind sehr kräftige Falschfarben und ein hohes Risiko für Artefakte. Wir haben aber in mehreren Kanälen brauchbare Detailinformationen.
- Die Strategie: Wir brauchen einen Kompromiss. Ein „Detail-zuerst“-Algorithmus ist gut, aber er muss Falschfarben im Griff haben.
- Die Wahl: Hier starte ich fast immer mit
DCB
. Er ist scharf wieAMaZE
, aber speziell für Kameras ohne AA-Filter (wie meine RP) besser im Umgang mit Falschfarben geeignet. Eine Alternative ist einDual Demosaic
-Ansatz, um Himmel und Laub getrennt zu behandeln. Darum zur Unterstützung den Regler für die Falschfarben-Unterdrückung auf 2 oder 3.
Filtergruppe 2: „Klassisches IR“ / Mittlere Wellenlänge (720nm)
- Die Herausforderung: Das Signal ist jetzt fast reines Infrarot. Der Rot-Kanal ist der unangefochtene König, während der Grün- und Blau-Kanal schwach und extrem verrauscht sind. Die ISO 100 in den Metadaten ist eine Lüge – für G und B gleicht das Bild eher ISO 12.800.
- Die Strategie: Wir müssen die Software zwingen, das Bild wie eine High-ISO-Aufnahme zu behandeln. Eine „Artefakt-Vermeidungs“-Strategie ist Pflicht, um das Rauschen nicht als Detail zu interpretieren und zu verstärken.
- Die Wahl: Für Falschfarben-Bilder sind
LMMSE
oderIGV
hier die erste Wahl. Sie gehen mit den verrauschten Kanälen behutsam um und verhindern die gefürchteten Labyrinth-Muster. Gerade beim 720nm Filter könnte man aber auch beschließen, direkt in die Schwarz-Weiß-Umsetzung zu gehen. Das bringt uns zur nächsten Option…
Filtergruppe 3: „Deep IR“ / Hohe Wellenlänge (850nm) & die Schwarz-Weiß-Umsetzung
- Die Herausforderung: Hier gibt es so gut wie keine Farbinformation mehr. Die G- und B-Kanäle sind praktisch reines Rauschen. Ein traditionelles Demosaicing wäre hier sinnlos und kontraproduktiv.
- Die Strategie: Wir sollten uns auf das stärkste und sauberste Signal konzentrieren, das wir haben, und den Rest ignorieren.
- Die Wahl: Das ist der perfekte Anwendungsfall für den
Mono
-Algorithmus. Er ist der „Anti-Demosaicer“. Er ignoriert die kaputten G- und B-Kanäle und baut das Schwarz-Weiß-Bild direkt aus den Daten des sauberen Rot-Kanals auf. Das Ergebnis ist die maximal mögliche Schärfe und Tonalität ohne jegliche Störfaktoren.
So, das war’s jetzt für heute. Irgendwann werde ich diese Artikelreihe noch um Dateiformate und Farbräume erweitern aber für den Moment soll das erstmal genug sein. Letztlich reicht es ja auch weiterhin für den pragmatischen Fall einfach auf „Sport“ zu schalten und der Technik zu vertrauen 😉
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