4. November 2022

So long and thanks for all the fish

Lesedauer 3 Minuten

Es gehört ja zu den seltsamen Dingen in meinem Leben, dass ich Nachrichten wie die des Layoffs bei Twitter nicht neutral betrachten kann weil ich Leute kenne, die direkt betroffen sind.

Es war wirklich herzzerreißend dem hashtag zu folgen während ich selbst damit befasst war meine eigenen Kanäle zu schließen und ein paar der Projekte, die ich zurücklassen würde in liebevolle Hände zu übergeben,allen voran der #FotoVorschlag, der jetzt einen eigenen Kanal gleichen Namens bekommen hat (yey!).

Was mich besonders deprimierte waren auch einige Leute, die mit mir und anderen Argumente austauschten und einigermaßen gehässig auf Menschen blickten, die ihrer Meinung nach hochbezahlt waren und Twitter nicht profitabel genug gemacht hatten.

Ich will mich gar nicht darauf einlassen zu diskutieren ob es wirklich ein Qualitätsmerkmal für Social Nets sein sollte wie viel Geld die machen. Ich persönlich habe seit langem den Verdacht, dass es eine genau gegenteilige Korrelation zwischen Einnahmen und Diskursqualität gibt.

Das frustrierende an solchen Kommentaren ist die Empathielosigkeit und mangelnde Menschlichkeit.

Viele Leute bei Twitter waren langjährig dort und haben zum Teil mit großen Idealen ihr Bestes versucht eine globale Plattform so zu managen, dass sie offen aber hochwertig bleibt. Sie haben Twitter zu einem Netz gemacht in dem sich die komplette Intelligentsia genauso findet wie „normale“ Menschen, die auf der Suche nach Austausch sind. Für viele ist es zu einer unersetzlichen Nachrichtenquelle geworden und obwohl es eines der kleinsten Netze ist, kam man an Twitter eigentlich kaum vorbei.

Ja, die Angestellten bei Twitter dürften überdurchschnittlich erscheinende Gehälter haben, aber das relativiert sich schnell wenn man sich die Rahmenbedingungen anschaut: (1) Globale Rezession, (2) Einstellungsstopps und Stellenabbau in der gesamten Branche, insbesondere im Silicon Valley, (3) eine Wohngegend in der 80.000$ Einkommen im Jahr als Armutsrisiko gelten (not kidding. Lebt mal in einer Stadt in der 4000$ und mehr Monatsmiete für 60qm niemanden schocken), (4) ein Land in dem die Krankenversicherung in der Regel an den Arbeitgeber gekoppelt ist und in dem eine Arztrechnung schnell fünf- und sechsstellig ist…

Und dann denke ich noch an die Leute, die mit einem L-1 Visum in den USA arbeiten und noch keine Greencard haben. Dieses Visum ist der typische Weg über den Ausländer im Silicon Valley ihre Arbeit antreten während sie den teils jahrelangen Prozess beginnen sich um eine Green Card zu bewerben, also eine permanente Aufenthaltsgenehmigung zu erhalten.

Wer nun so ein L-1 Visum hat, ist vom Arbeitgeber abhängig. Sobald der Job gekündigt wird haben solche Menschen 6 Wochen Zeit um mit ihren Familien das Land zu verlassen. Das habe ich schon einmal bei einem Kollegen beobachtet, der mit Frau und 4 Kindern in Palo Alto lebte und in 6 Wochen die Kinder aus Schule und Kita abmelden, Umzug organisieren und ein neues Zuhause in seinem Heimatland organisieren musste.

Ihr dürft davon ausgehen, dass sich all diese Dramen zur Zeit bei Twitter abspielen und das alles nur deswegen weil Elon Musk meint ein Unternehmen „retten“ zu müssen, dass ursprünglich nicht von ihm gerettet werden wollte. Niemand hat ihn gebeten, es ist eine Vergewaltigung einer Belegschaft und einer globalen Community die nur deswegen möglich wird weil er so viel Geld hat, dass er kaum aufzuhalten ist und dann so unglaublich dumm war sein Geld vor die falschen Nasen zu halten, so dass er gezwungen wurde seinem großmäuligen Geschwätz auch Taten folgen zu lassen.

Die Leute, die in den letzten Jahren ständig meinten es wäre ein Verstoß gegen ihre Redefreiheit wenn sie nicht über Juden, Ausländer und Frauen herziehen durften, feiern jetzt ein Fest und machen die Plattform noch widerlicher als damals während Trump noch ungebremst ätzen durfte.

Menschenverachtung scheint auf Twitter ja leider auch manchmal ansteckend zu sein und jetzt gibt es wieder mehr davon, angefangen beim Chef. Ich wende mich ab und werde auch ein paar Leute wirklich vermissen. Viele lasse ich aber auch zurück in der Hoffnung, dass sie dort bleiben… Ist vielleicht ein hässlicher Gedanke, aber irgendwie haben sich viele Leute die jetzt jubeln dort auch gegenseitig verdient.

13 Responses

  1. wortkomplex sagt:

    @Dirk Danke für diese Gedanken! Ich habe vorhin in #OneTeam reingeschaut und war erschrocken bis angeekelt, wieviele darunter gefeiert haben – dass endlich alle Woken wegseien, dass die Meinungdiktatur beseitigt werde etc. Und viele „So what – move on“- und „normal Takeover procedure“-Kommentare, die vor Empathielosigkeit strotzen. Insbesondere die individuellen, kaum abschätzbaren Konsequenzen (zB L-1-Visa) hatte ich auch noch gar nicht auf dem Schirm. What a mess.

  2. Eins zu Eins sagt:

    @Dirk Mal 'ne Frage, da ich mich bei sowas nicht auskenne: Wenn Twitter nicht gerettet werden wollte (unironisch), wie kam es dann, dass es an Musk verkauft wurde? Wer bestimmt sowas, wie kommt das zustande? Kann man nicht einfach sagen: "Ja, netter Betrag, den du da bietest, aber ich verkaufe nicht."?

    • Dirk sagt:

      Twitter war ein Aktienunternehmen. Elon hat das Angebot nicht Twitter sondern den Aktionären gemacht und der Betrag war geradezu unverschämt hoch, so dass die Twitter Geschäftsleitung praktisch gezwungen war im Shareholder-Interesse zu verkaufen. Bevor es so weit war haben sie erst verschiedenes versucht um sich zu wehren, letztlich müssen sie aber im Interesse der Investoren handeln was jetzt eben zu dem Drama geführt hat das wir beobachten. Alles sehr tragisch.

  3. Heike Rings sagt:

    @Dirk Dirk, ich hab deinen Text eben gelesen und musste dann aber weg. Du hast vollkommen Recht es ist traurig und dramatisch was er mit Twitter und den Menschen macht. Trotz allem denke ich, wenn alle Guten gehen, hat er ja erreicht, was er will. Und wenn ich, wie bei den Querdenkern auch, nur einen zum Nachdenken bringen kann, dann lohnt sich für mich das 2. Standbein dort noch. Außerdem müssen wir dein Baby ja auch beschützen! Liebe Grüße ….

  4. Viv sagt:

    @DirkHoffen wir einfach, dass der Ton hier weiterhin sachlich und konstruktiv bleibt und nicht bald Gift und Galle gespuckt wird wie beim blauen Vögelchen.

  5. Meufal sagt:

    @Dirk wie schaffst du es, so viel in einen Post zu schreiben? Ich hab nicht so viele Zeichen zur Verfügung…

  6. Antje67 sagt:

    @Dirk Sehr schön, sehr klug geschrieben.Ich jedenfalls wünsche dem blauen Vogel einen Neuanfang. Ohne Musk, irgendwann.

  7. Oliver sagt:

    Ich bin deiner Meinung und empfand genauso, als ich heute gelesen habe, wie die Kündigungen stattfinden – per eMail und von jetzt auf hopp. Das ist grausam.
    Twitter war schon cool und es war kein kurzer Lauf. Die besten Oneliner ever, nie habe ich meinen Monitor öfter angelacht als beim Lesen meiner Timeline. Früher. Mit meinem alten Account, als ich noch nicht twitterte, um ein Ziel zu verfolgen.
    Zack! Da haben wir das Problem bei der Wurzel.

    • Dirk sagt:

      Das Problem zieht sich leider durch manches, nicht wahr?
      Blogs, Podcasting, Fotografie… und eben auch Twitter – vieles war luftiger und manchmal auch liebenswerter solange es zum Spaß statt für Profit gemacht wurde.

  8. Frau Staenki sagt:

    @DirkToller Text. Den letzten Abschnitt habe ich aber nicht verstanden.Und: Wie hast du denn langen Text in den Tröt bekommen?@wortkomplex

  9. Frau Staenki sagt:

    @DirkDas alles nur, und das sagt niemand, damit der Gierschlund EM noch mehr Reichtum anhäufen und noch viel mehr Menschen misshandeln kann@wortkomplex

  10. Alexander sagt:

    @Dirk Toller Text, danke!

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