14. August 2023

Von der Kunst kein Anführer zu sein.

Lesedauer 2 Minuten

Ich erinnere mich noch gut daran, als ich zum ersten Mal irritiert war, von irgendwem als „Leader“ bezeichnet zu werden. Ich war 24 und hatte gerade einen Job bekommen, den ich mir selbst nie gegeben hätte, und ich hatte mein erstes Training.

Darin wurde mir (und den anderen Twenty-Somethings unter den Teilnehmern) versichert, dass das Training für „Leaders like us“ optimiert sei. Mich beschlich ein Gedanke:

Wenn ich schon jetzt zu den Anführern hier gehören soll, also „besonders“ bin und mein Training praktisch allen Neuen zuteil wird – wo sind dann all die anderen, weniger „besonderen“ Leute? Was ist schließlich ein Leader ohne Follower?

Ich mag die Vorstellung einer Wahlmöglichkeit. Stellen wir uns vor, statt „How to lead effectively“ könnten wir an „How to be an amazing follower“ teilnehmen! Ich wäre schon aus Neugier dabei.

Eine Suche auf Amazon nach dem Wort „Leadership“ gibt 60.000 Treffer. Sucht man nach „Follower“, dann ist die Trefferliste nicht nur deutlich kleiner, es geht auch nicht mehr um unseren Erfolg im Leben.

Erfolgreiche Menschen sind also „Leader“.

In Bewerbungsgesprächen fragt uns niemand „Erzählen Sie mir von einer Gelegenheit, bei der Sie im Hintergrund den Laden am Laufen hielten und niemand davon Notiz nahm.“ Stattdessen bereiten wir uns auf „Geben Sie uns ein Beispiel für ein Projekt, in dem Sie eine führende Rolle hatten…“ vor.

Das suggeriert: Wer erfolgreich sein will, strebt nach vorn.

In unserer Gesellschaft wird die Idee der Führung derart in den Vordergrund gerückt, dass praktisch alle versuchen, in irgendeiner Form von sich als Führungskraft zu denken. Wer nicht sowieso schon führt, versucht wenigstens, eine zukünftige Führungskraft zu sein, und in der Zwischenzeit können wir ja im Privatleben irgendwas „anführen“…

Ich halte das für toxisch. Es führt zu übersteigerten Egos, zu falschen Zielen und zur Energieverschwendung bei dem Versuch, einen Status zu erringen, der weder produktiv noch „echt“ ist.

Hinzu kommt, dass sogenannte Anführer oft von sich selbst annehmen, diese Leadership-Qualitäten wären ein Persönlichkeitsmerkmal oder eine Fähigkeit, die sie nun mal erworben haben. Ich glaube, das ist falsch. Es ist eher so, dass wir manchmal vorne stehen, manchmal aber auch nicht. Die Kunst besteht darin zu wissen, wann wir wo sind und ob wir der Rolle, die uns die Umstände gerade zugewiesen haben, gerecht werden können oder ob wir nicht lieber jemand anderem den Vortritt lassen sollten.

Das wäre doch ein Verhalten, das wir bejubeln sollten, oder nicht? Stellen wir uns vor, man würde für die ruhige Unterstützung der Kollegen genauso gefeiert werden wie für das Erklimmen immer neuer Leadership-Höhen!

So wie es Trainings, Bücher und Merksprüche zum Thema Leadership gibt, sollten wir damit beginnen, uns gegenseitig zu erzählen, welche Qualitäten eigentlich für Leute in „Followership-Verantwortung“ wichtig sind. Hier ein paar Ideen:

  • Empathie
  • Bescheidenheit
  • Sachkompetenz
  • Transparenz
  • Lernwille
  • Leistungswille
  • Selbstständigkeit
  • Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen
  • Konstruktive Diskussionskultur

Und bevor der Einwand kommt: Ja, ich glaube, all diese Eigenschaften stehen auch Führungskräften gut zu Gesicht. Denn im Grunde glaube ich, dass sich gute Führungskräfte unter anderem dadurch auszeichnen, zu wissen, wann sie besser im Hintergrund bleiben, anstatt sich um jeden Preis in den Vordergrund zu drängen nur weil ihr Titel ihnen die Möglichkeit dazu gäbe…

6 Responses

  1. Kaya sagt:

    @Dirk

    Fehlt:
    – realistische Selbsteinschätzung
    – unbeschädigtes Ego..

    Ja, es gilt für alle, egal, wo sie aktuell positioniert sind bzw wurden. Dieser (kapitalistische) Zwang zu höher, schneller, weiter führt nur zu kaputten Personen und Persönlichkeiten – nämlich genau zu denen, denen man das so erzählen kann und die dann ein Leben lang verzweifelt auf diesen gott- oder gengegebenen (vermeintlichen) Anspruch beharren. Teufelskreis.

  2. @Dirk Ich unterschreibe alles, was du dazu schreibst. Ich bin seit bald 30 Jahren Führungskraft in der Software Entwicklung. (Gott, bin ich alt.) Ich begriff mich immer als Spielertrainer und von diesen ganzen coolen „Leadership“-Dingern macht einzig Servant Leadership Sinn, da es die Follower (um deinen Sprachgebraucht), deren Zufriedenheit und letztlich ihren Erfolg in den Mittelpunkt stellt. Deine Liste an Skills schätze ich an meinen Mitarbeitern, an mir und auch an meinen Chefs.

  3. Oli sagt:

    Vielen Dank für die treffende Zusammenfassung vieler meiner Gedanken über die Arbeitswelt von heute.
    Ich bin gelangweilt von Menschen die unbedingt Senior Executive Vice President sein möchten und am Ende gerade mal die Reisekosten ihrer 3 Mitarbeiter freigeben dürfen.
    Ich bin gerne Trainer (nicht Leader) und freue mich sehr, wenn einer meiner Trainees (aka Mitarbeiter) auf meinen Level befördert wird oder gar noch mehr Karriere macht. Dann war ich ein Leader.

  4. Rainer sagt:

    @Dirk Sehr nützliche Gedanken die ich ohne Einschränkung teile. Es ist selbstverständlich nicht schwarz oder weiß sondern beides. Oder in den von dir gewählten Begriffen Leader und Follower. Zu wissen, wann man sich zurücknimmt und Follower bleibt bzw nach vorne geht ist eine sehr rollenbezogene Fähigkeit die in meiner Wahrnehmung leider viele "Leader" nicht haben. Eine unentbehrliche Fähigkeit wenn es um die seelische Gesundheit der Leader, wie der Follower geht.

  1. 15. August 2023

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