4. August 2023

Kreativität, Empathie, Emotion, Bewusstsein

Lesedauer 4 Minuten

Ich lese diese vier Begriffe oft zurzeit. Das seien nämlich die Dinge, in denen uns KIs angeblich noch lange nicht das Wasser reichen können. Manche behaupten gleich als Nächstes, es wäre auch gut möglich, dass das nie der Fall sein wird…

Lasst mich mal ein paar hot takes dazu raushauen (ihr mögt das doch) 🙂

Kreativität – it’s a lie.

Es ist eine wirklich starke Erzählung – Kreativität sei das, was wir eigentlich brauchen, um im Leben erfolgreich zu sein; Kreativität sei auch das, was wir den Maschinen voraushaben. Dazu habe ich gleich drei eher zynische Meinungen:

  • Erstens ist der tatsächlich kreative Anteil selbst bei den sogenannten kreativen Berufen weit geringer als wir tun (nein, Karl-Egon, die Steuerkanzlei, in der du arbeitest, bezahlt dich nicht dafür, kreativ zu sein, sie bezahlt dich dafür, dass du das System so gut verstanden hast, dass du es zum Vorteil deiner Kund:innen anwenden kannst). Auch Disponentinnen-Petra oder Taxifahrer-Niko sollen bitte nicht kreativ sein, oder zumindest werden sie nicht dafür bezahlt…
  • Zweitens ist das, was wir persönlich kreativ nennen, bei näherer Betrachtung gar nicht so einzigartig, und
  • Drittens ist menschliche Kreativität tatsächlich kein magisches Ereignis aus den Tiefen des Kosmos, sondern einigermaßen algorithmisch. Wir nehmen unser gelerntes Wissen, iterieren dann an einigen Stellen, streuen eine Prise Zufall und wildes Experimentieren hinein, und – et voilà! – heraus kommt eine kreative Idee.

Und als kleinen Bonus habe ich noch eine kränkende Einsicht für uns: Auch wenn unzweifelhaft aktuelle KI-Systeme von Meistern ihrer Disziplinen in den Schatten gestellt werden, dann ist es doch auch so, dass wir die Systeme nur im Kollektiv schlagen können. Jede/n einzelnen von uns stellen die Systeme in den meisten Bereichen gnadenlos in den Schatten. Ich kann vielleicht bessere Gedichte schreiben als chatGPT, aber trotzdem ist chatGPT um Größenordnungen besser auf meine Bitte hin, Ideen zu generieren, mit denen ich weiterarbeiten kann. Wie, die sind nicht wirklich neu? Guess what – meine eigenen Ideen sind das auch nur sehr selten, ganz egal, wie neu sie sich für mich und vielleicht auch meine Umgebung anfühlen mögen.

Empathie – darin sind wir selbst auch oft nicht so dolle.

Immer wieder wird behauptet, Menschen wären so gut darin, empathisch zu sein. Maschinen könnten das nicht abbilden, denn dazu fehle ihnen Emotion und Bewusstsein.

Schlagen wir die Definition des Begriffs Empathie nach, dann finden wir Folgendes:

Empathie, die
Bereitschaft und Fähigkeit, sich in die Einstellungen anderer Menschen einzufühlen.

Maschinen haben zweifellos keine Emotionen, daher können sie nicht empathisch im engeren Sinne sein. Aber: Woran würden wir Empathie erkennen? Daran, dass uns jemand zuhört, dass die Reaktionen auf unsere Aussagen passen und uns die Impulse geben, die wir brauchen… All das kann eine Maschine sehr wohl leisten. Wenn Systeme wirklich gut darin werden, mit uns zu kommunizieren, dann spielt es keine Rolle, ob sie wirklich empfinden, was sie ausdrücken. Eventuell können diese Maschinen sich sogar besser auf uns einstellen als wir es selbst können.

Und obendrein gibt es auch hier die große Frage, ob wir Menschen eigentlich diesen angeblichen Vorteil wirklich nutzen. Mein ganzes Leben lang beobachte ich schon, wie Leute aneinander vorbeireden, wie sie sich gegenseitig unabsichtlich verletzen, wie sie Gefühle misinterpretieren, oder wie sie ihnen einfach egal sind.
Social Media war für diese offensichtlichen Defizite geradezu ein Brandbeschleuniger. Es ist sehr ernüchternd zu sehen, dass Menschen eigentlich nur dann empathisch sind, wenn sie gerade wollen, und es nur dann wirklich schaffen, wenn ihr Gegenüber möglichst nah an ihrem eigenen Erleben ist.

Das sind alles Probleme, die Maschinen nicht hätten. Eine entsprechend ausgerichtete virtuelle Person schöpft aus einem gigantischen Pool an Wissen und möglichen Kommunikationsmustern und könnte sich besser auf uns einstellen als wir selbst, vielleicht gerade deswegen, WEIL die Empathie für sie reine Performance wäre, statt wie bei uns auf inneres Erleben angewiesen zu sein.

Emotion und Bewusstsein – ein Rückzugsgefecht.

Emotion und Bewusstsein sind die beiden Aspekte, die wir immer noch als einzigartig menschlich definieren, und daher nehmen wir an, Maschinen wären nicht nur unfähig dazu, sie wären auch irgendwie im Nachteil dadurch.

Das Problem nur: Bewusstsein und Emotion sauber zu definieren ist gar nicht mal so einfach, und wir selbst haben nicht verstanden, wie Bewusstsein z. B. überhaupt entsteht. Bis vor gar nicht so langer Zeit behaupteten wir, Tiere hätten kein Bewusstsein. Heute hängt diese Zuschreibung von der Art Lebewesen ab mit der wir es zu tun haben… Kaum jemand schreibt beispielsweise Pflanzen ein Bewusstsein zu. Warum? Weil wir es uns nicht vorstellen können, weil wir es nicht beobachten könnten, weil sie im Vergleich zu uns so anders sind.
Wir wissen es aber nicht. Das heißt aber umgekehrt auch: Es kann gut sein, dass Bewusstsein entsteht oder existiert, und wir bemerken es gar nicht.

Obendrein spielt es aber auch eigentlich gar keine Rolle. Wenn ich von einem selbstfahrenden Auto in die Arbeit kutschiert werde, interessiert es mich nicht, ob das Auto Bewusstsein hat, und Emotion wäre vielleicht sogar von Nachteil. Hätte das System aber wirklich Emotion und Bewusstsein, müssten wir uns nicht ernsthaft Gedanken darüber machen, ob es ethisch eigentlich vertretbar es gnadenlos auszunutzen?

Angenommen, es stellt sich heraus, Bewusstsein entstehe mit wachsender Komplexität, wie manche Philosophen glauben: Ab wann wird aus einer Fertigungsstraße ein Sklavereibetrieb?

All das in den Raum gefragt, komme ich aber außerdem immer an einem finalen Punkt an: Emotion und Bewusstsein sind Aspekte unserer Existenz, die wir beobachten, aber nicht belegen können. Es ist theoretisch denkbar, dass ich der einzige Mensch bin, der ein Bewusstsein hat, und der Rest seid ihr nur Marionetten, ohne Gedanken, ohne Erleben, ohne inneren Reichtum. So abwegig es klingt: Beweisen könnte ich das nicht, und ich könnte auch nicht beweisen, dass ich selbst ein Bewusstsein habe. Das ist aber eher ein theoretisches Problem. Die große Frage, die wir uns aber an dieser Stelle stellen müssen, ist die, was es für die Menschheit bedeuten würde, wenn es den Maschinen gelänge, Bewusstsein zu erzeugen? Und vor allem: Was würden wir dann damit machen? Denn für uns als Spezies ist dieser Rückzugsort ein wenig die letzte Bastion, mit der wir weiterhin behaupten können, wir seien irgendwie „besser“, ganz nach dem Muster „ja, die Technik kann viel, aber sie hat keine Emotionen!“, als ob das für den Alltag überhaupt eine Rolle spielen würde.

Fazit:

Wir Menschen sind letztlich Biologie (Hardware) mit anpassbarem Verhalten (Software). Nichts an dieser Kombination ist so einzigartig, dass es nicht noch einmal entstehen könnte. Emotionen, Bewusstsein? Ich bezweifle nicht, dass diese Phänomene auch in von Menschen geschaffenen Systemen beobachtet werden könnten. Wenn noch nicht heute, dann sicherlich irgendwann in Zukunft. Aber auf dem Weg dahin werden diese Systeme schon längst weit über dem Kompetenzniveau agieren, das wir von uns selbst gewohnt sind und sich auch schon längst im Umgang so „anfühlen“ als wären sie empathisch, kreativ, emotional und bewusst…

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2 Responses

  1. oli sagt:

    Etwas desillusionierend, oder?
    Sicher, „Kreativität“ ist sehr oft nur eine Extrapolation von historischen Erfahrungen mit einer Prise neuen Erfahrungen oder Zufall, sehr oft sehe ich bei „Kreativen“ eine Wiederholdung bekannter Muster.
    Ist es denn Kreativität eine neue Thesen auf Basis von Wahrscheinlichkeit der Zusammengehörigkeit bestimmter Wörter oder Phrasen zu erzeugen?
    Oder ist es Kreativität, wenn man a) Beobachtet und kleine Ähnlichkeiten zu b) sieht die man dann mit den Details von c) ergänzt um dann was neues zu „kreieren“? Also aus Zusammenhängen die noch nicht in einer statistischen mathematischen Nähe stehen?
    Wenn es so wäre, dass eine KI die gleiche Kreativität wie wir besitzt, dann müsste die KI ja schon jetzt ohne Probleme die Fakten zur dunklen Materie inkl. den notwendigen Experimenten zum Nachweis auswerfen können – vermutlich gibt es ausreichend unterschiedliche Fakten mit der ein Nachweis möglich ist, würde man alle Aspekte schon heute korrekt zusammenzuführen.
    Oder einer KI müsste auf Basis aller mathematischen Erkenntnisse und der unglaublichen Rechenkraft das leichteste Sein, zB die https://de.wikipedia.org/wiki/Riemannsche_Vermutung zu lösen. Ich bin mir nicht sicher, ob eine KI mit allem Wissen der Welt und unbegrenzter Rechenkraft wirklich dem Chaos und Zufall unserer Gedanken das Wasser reichen kann.
    Hoffentlich. Bitte!

    • Dirk sagt:

      Kreativität ist ja nicht automatisch Allwissen und manches was du da verlangst hat auch weniger mit Kreativität an sich als mit systematischer Erarbeitung zu tun.
      Ich glaube allerdings unterm Strich, dass wir unseren Wert nicht daran festmachen sollten ob wir im Vergleich mit Maschinen irgendwie kreativer oder emotionaler sind.
      Letztlich sollte es auch keine Rolle spielen ob Kreativität am Ende vielleicht nur eine Art auf Algorithmen basierende Illusion ist. Wir Menschen drücken uns auf die verschiedensten Arten aus und vieles davon ist nun einmal kreativ geprägt. Solange wir daran Freude haben und es als bereichernd empfinden reicht das doch schon?

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